Dr. Dmitriy Oparin (University of Bordeaux Montaigne (CNRS))

Pflicht und Loyalität bei migrantischen zentralasiatischen Mullahs im heutigen Russland

Das Forschungsinteresse des Anthropologen Dr. Dmitriy Oparin konzentriert sich auf Religion und Mobilität sowie auf ethnische und religiöse Vielfalt in Russland. In dem Zusammenhang hat er zu Islam und Migration in verschiedenen Teilen der Russischen Föderation gearbeitet. Mit Unterstützung des Orient-Instituts Istanbul konnte er einen Artikel mit dem Titel » The Formation of Religious Authority Among Central Asian Mullahs in Russia: Questions of Duty and Loyalty in a Muslim Migration Context ” für die Zeitschrift Problems of Post-Communism überarbeiten und fertigstellen (veröffentlicht 2023, https://doi.org/10.1080/10758216.2023.2254913). Das Paper beruht auf seiner ausgedehnten Feldforschung, die er bei kirgisischen und tadschikischen Migrantinnen und Migranten in der südostsibirischen Region Irkutsk durchgeführt hat. Der Schwerpunkt der Forschung liegt auf der sozialen Stellung, religiösen Praktiken und Ansichten zentralasiatischer Mullahs, die eine aktive Rolle im Glaubensleben der örtlichen Gemeinschaft spielen, bestimmte Rituale durchführen, ihre Glaubensbrüder und -schwestern beraten und großes soziales Kapital besitzen. Obwohl sie in der Moschee ihrer Stadt keine offizielle Position einnehmen, spielen sie dennoch eine erhebliche Rolle beim Aufbau des religiösen Alltagslebens der Gemeindemitglieder. Oparin untersucht die unterschiedlichen Beziehungen, welche die Mullahs mit dem jeweiligen »offiziellen« Imam und dem örtlichen muslimischen Umfeld aufbauen. Er kommt zu dem Schluss, dass die geistliche Autorität der zentralasiatischen Mullahs hauptsächlich auf ihrem Wissen und ihrer religiösen Erfahrung, einem Pflichtgefühl gegenüber der Weitergabe dieses Wissens sowie ihrer Loyalität zum Imam beruht. Die zentralasiatischen Mullahs in Irkutsk pflegen eine Beziehung des gegenseitigen Respekts mit dem Imam. Manche von ihnen sind Mitglieder des muslimischen Rats an der Moschee und arbeiten gemeinsam mit dem Imam an der Lösung dringlicher Probleme der örtlichen Gemeinschaft. Der Imam erlaubt ihnen, bestimmte Rituale in der Moschee durchzuführen sowie Kinder in der korrekten Rezitation des Koran (tajwid) zu unterweisen und bittet sie häufig, die täglichen islamischen Gebete (namaz) anzuleiten. Umgekehrt erweisen die Mullahs dem Imam Loyalität, sprechen voller Respekt über ihn und sind bereit, ihn im Fall von Auseinandersetzungen zu unterstützen. Jedoch bilden gegenseitige Loyalität und Respekt gleichzeitig die Grundlage für eine gewissen Grad von Unabhängigkeit der zentralasiatischen Mullahs. Förmliche Unterstützung von seiten des Imams an der Moschee eröffnet ihnen einen großen Handlungsspielraum und legitimiert ihr Handeln in den Augen der Gemeinschaft.

Dr. Dmitriy Oparin ist Anthropologe und war bis zum Frühjahr 2022 tätig an der Higher School of Economics in Moskau und an der Russischen Akademie der Wissenschaften. Nach seinem Aufenthalt am OII als Gastwissenschaftler setzt er seine wissenschaftliche Laufbahn am Laboratory Passage der Universität von Bordeaux Montaigne (CNRS) fort.