Dimitrios Giagtzoglou, M.A. (University of Crete)

Die osmanische «Wissenschaft der Buchstaben» in Theorie und Praxis: Prinzipien, Methoden, Menschen und Quellen.

Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre haben sich viele ausgezeichnete Bücher, Artikel und Zeitschriften ausführlich mit den verschiedenen Aspekten und Formen des islamischen okkulten Wissens auseinandergesetzt. Leider legten nur wenige dieser Studien ihren Fokus auf eine der wichtigsten Epochen der Geschichte des Nahen Ostens und des Balkans, die des Osmanischen Reiches. Dieses Projekt zielt darauf ab, durch das Studium der Buchstabenmystik, einer der charakteristischsten Formen verborgener Wissenschaften in der islamischen Welt, zu diesem Forschungsgebiet beizutragen. Die Wissenschaft von den Buchstaben (‘ilm al-ḥurūf) oder Lettrism, wie sie üblicherweise von zeitgenössischen Gelehrten definiert wird, könnte knapp als die Zuschreibung mystischer Qualitäten zu den Buchstaben des Alphabets beschrieben werden. In der islamischen Geographie sind die Werke von Muhyiddin ibn Arabi und Ahmed al-Buni die zentralen Beispiele von Lettrism, die sowohl den philosophischen Inhalt der Geheimwissenschaften als auch ihre Funktionsweise in der Praxis offenbaren. Viele der Jünger dieser bedeutenden Lettristen setzten dieses Erbe fort und ihr Einfluss erstreckte bis in die Herrscherhäuser arabischer Länder und Persiens. Für die osmanischen Sultane, die sich seit Mitte des 14. Jahrhunderts als wichtige politische Macht unter den anderen anatolischen Emiraten zu etablieren versuchten, war die Förderung der Buchstabenwissenschaft ein nützliches Werkzeug, um ihre imperiale Ideologie zu entwickeln und ihre politische Autorität zu legitimieren. In diesem Prozess wurden talismanische Objekte wie Hemden und geschriebene Amulette hergestellt, um Mitglieder der Sultansfamilie zu schützen, während einige der prominentesten Mitglieder der Ulema die Buchstabenwissenschaft, dazu nutzten, den Herrschern wichtige Ereignisse zu prophezeien. Darüber hinaus haben verschiedene Sufi-Kreise die Literatur benutzt, um den Koran zu interpretieren und die Realitäten und Qualitäten des Universums und der Welt um sie herum zu verstehen. Das Projekt führt all diese unterschiedlichen Stimmen zusammen und schickt sich an, sie in den intellektuellen Diskursen wie auch der sozialen und politischen Dynamik Anatoliens und des Osmanischen Reiches zu beschreiben, zu analysieren und vor allem zu kontextualisieren.

Figure: Şücaüddin İlyas b. İsa b. Mecdüddin es-Saruhani, (d. 967/1559), Ferahnâme, Süleymaniye Kütüphanesi, Carullah MS 1539.