Chloe Bordewich (Harvard University)
Reich des Argwohns: Geheimdienst, Macht und soziales Vertrauen in der osmanisch-arabischen Welt (1865–1930)

Chloe Bordewichs Forschungsprojekt untersucht die Wechselwirkungen von Geheimhaltung, Überwachung und Massenpolitik in der osmanisch-arabischen Welt im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Durch einen Fokus auf Verbindungen zwischen Istanbul und Kairo, zwei parallelen Zentren subversiver Politik, versucht das Projekt, die komplizierte Beziehung zwischen dem Zentrum des Reiches und dem ägyptischen Khedivat neu zu beleuchten. Osmanische Dissidenten aus dem ganzen Reich versammelten sich in Kairo, während umgekehrt arabische politische Bewegungen in Istanbul blühten. Die wachsende Dominanz von Massenpolitik in beiden Hauptstädten führte zu einem Anwachsen von staatlicher Geheimhaltung und Informationskontrolle. Insbesondere die Einführung der neuen Kategorie des „politischen Verbrechens“ förderte die Einrichtung von ausgedehnten und tiefreichenden Informanten-Netzwerken. Das Projekt wird nicht nur den Aufbau von repressiven Institutionen und Praktiken dokumentieren, sondern auch untersuchen, wie diese auf die soziale Psyche einwirkten: Welche langfristigen Implikationen prägten das Privatleben von Menschen, ihre sozialen Beziehungen und ihr Verhältnis zum Staat? Um diese Frage zu untersuchen, verbindet die geplante Dissertation persönliche Quellen mit der Geschichte des Osmanischen Reiches, und taucht in das verschwommene Grenzgebiet zwischen privaten und öffentlichen Geheimnissen. Arabisch-osmanische Erinnerungsschriften und private Korrespondenzen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges werden ebenso herangezogen wie Dokumente politischer Gerichtsprozesse, Zensurakten und Berichte von Informanten. Im Kontext globaler Informationsangst wirft das Projekt neues Licht auf die Entstehung und Zerstörung sozialen Vertrauens im Verlauf dieses letzten Kapitels gemeinsamer Geschichte.