Zsófia Turóczy (Universität Leipzig)
Freimaurernetzwerke zwischen Ungarn und dem Osmanischen Reich: Eine Geschichte von mobilen Akteuren, wandernden Ideen
und Elitenrekrutierung in Zeiten der Nationenbildung

Dieses Dissertationsprojekt beschäftigt sich am Beispiel der ungarischen und osmanischen Freimaurerei in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Freimaurernetzwerken. Die Freimaurerlogen zogen vor allem liberale Intellektuelle an, wobei zahlreiche Freimaurer im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Osteuropa die Politik mitbestimmten. Die Freimaurerlogen organisierten sich in nationalen Dachorganisationen, den sogenannten Großlogen oder Großorienten. Gleichzeitig intensivierten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Ägide universell verstandener Grundwerte die Beziehungen zwischen den Dachverbänden. Grenzüberschreitende Netzwerke wurden geschaffen, die sich um 1900 zu regionalen Schwerpunkten und transnationalen Bewegungen verdichteten. Die zentrale Fragestellung lautet daher: Kann die Freimaurerei dieser Zeit als ein Elitennetzwerk betrachtet werden und lässt sich aus den ungarischen und osmanischen Freimaurernetzwerken ein intellektuelles, reformorientiertes Elitennetzwerk rekonstruieren? Wer waren die Hauptakteure und wie bildete sich dieses transnationale Elitennetzwerk heraus? Im Projekt werden formelle und informelle Beziehungen sichtbar gemacht und analysiert. Dafür werden Zeitschriften der Logen, Protokolle, Manifeste und Reden bedeutender Freimaurer und Egodokumente herangezogen. Auch die in diesem Raum stattgefundenen Transferprozesse — mit besonderem Augenmerk auf die Ideengeschichte — sollen untersucht werden: welche Konzepte wurden unter freimaurerischen Intellektuellen (weiter)entwi-ckelt? Und, inwieweit nahmen die Autoren dabei aufeinander Bezug?
Die Zeitspanne des Dissertationsprojekts orientiert sich an der Blütezeit der Freimaurerei im südosteuropäischen Raum. Die ersten Logen etablierten sich im Osmanischen Reich und in Ungarn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1886 vereinigten sich die zwei Großlogen in Ungarn und die Zahl der Logengründungen stieg im ganzen Land parallel zu denen in den großen Hafenstädten des Osmanischen Reiches rasch an. Die Annäherung der ungarischen und osmanischen Logen im goldenen Zeitalter der Freimaurerei ist im Kontext der ungarisch-türkischen Annäherung zu verorten. Die ungarisch-türkischen Beziehungen erreichten ihren Zenit als Verbündete während des Ersten Weltkriegs. Eine These des Projektes ist, dass die grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen den Freimaurern und den Freimaurerlogen zu dieser Entwicklung maßgeblich beitrugen und Transferprozesse auf verschiedenen Ebenen ermöglichten.