„Sonic Rituals“ trotz Pandemie – Einblicke, Eindrücke, Fragen

Autorin: Margret Scharrer

18. September 2020

Als unser Team (bestehend aus Judith I. Haug, Istanbul, Tül Demirbaş und Margret Scharrer, beide Bern) sich den ersten Vorbereitungen für den Workshop „Sonic Rituals: Ottoman, Habsburg & Burgundian Festivities (15th – 17th Centuries) From an Intermedial Perspective“ widmete, war von Corona noch keine Rede. Geplant war ein zweitägiges Arbeitstreffen in kleinerem Rahmen mit Vorträgen und Diskussionen am Orient-Institut Istanbul. Die Referent*innen und Diskutant*innen aus der Türkei, Schweiz, Frankreich und Österreich sollten in einem Hotel mit Bosporus-Blick logieren. Eine Besichtigung des Topkapı-Palastes und einen Besuch des Hippodroms hatten wir ins Auge gefasst, um die Aufführungsorte und -gegebenheiten der osmanischen Festlichkeiten direkt vor Ort studieren zu können. Mit dem Ausbruch von Corona gerieten unsere Pläne ins Wanken; wir hatten keine Vorstellung, wie lange und mit welchen Auswirkungen die Pandemie andauern würde. Schließlich standen wir vor der Frage: Halten wir den Termin und veranstalten einen Online-Workshop, oder sollten wir die Veranstaltung ins kommende Jahr verschieben? Wir haben uns für die Online-Variante entschieden, denn Tagungen und Kolloquien wird es sehr wahrscheinlich im kommenden Jahr zahlreiche geben. Wissenschaftlichen Austausch mit Forschenden aus der Türkei und anderen Ländern wünschten und wünschen wir uns aber gerade in Zeiten wie diesen unbedingt! Außerdem sollten die eigenen Forschungen und Vorbereitungen für eine internationale Konferenz im kommenden Jahr belebt, Diskussionen geführt werden.

Wir haben die Möglichkeiten des World Wide Web genutzt und uns über Kontinente und Zeitzonen hinweg interdisziplinär ausgetauscht, osmanische, burgundische und habsburgische Rituale und ihre mediale und klangliche Vielfalt kennengelernt, diskutiert und verglichen. Klar geworden ist dabei: Die osmanischen Sultane wie die habsburgischen Kaiser und Herzöge von Burgund nutzten einen Pool von medialen Möglichkeiten, um ihre Dynastien in Ritualen zu inszenieren (Ali Ergur, Galatasaray-Universität / Sonja Tröster, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien / Tül Demirbaş). In allen drei Kulturen lassen sich zahlreiche Parallelen ausmachen. Musik und Klang bildeten ein wesentliches Moment in Ritualen, letztere sind jedoch nur als intermediale Ereignisse lesbar. Diese Intermedialität muss allerdings viel mehr als organisch vorhandenes Phänomen denn als ein Konstrukt im Sinne des heute existierenden Theaters mit seinen unterschiedlichen Sparten bzw. als „Gesamtkunstwerk“ verstanden werden (Cristina Urchueguía, Bern). Trotzdem dürfen natürlich die Konzepte von Performativität nicht außen vorgelassen, sondern müssen? als weiterführende Zugänge zur Herrscher-Performance verstanden werden (Heidy Greco-Kaufmann, Bern).

Eine Vorstellung von der klanglichen und medialen Vielfalt vermitteln besonders Miniaturen in Festivalbüchern wie das Hünernâme, das verschiedene Ritualsituationen unter Süleyman, Selim II. und Murad III. visualisiert. Das Bildprogramm zeigt ein großes Spektrum an Aufführungsformen, die von der Vorführung verschiedener Handwerke über Akrobatik bis hin zu Tierdressur und Tanz reichen. Klangliche Elemente bildeten dabei ein wesentliches Moment (Emine Fetvacı, Boston). Auch bildliche Quellen aus burgundischen Kontexten geben einen Einblick in das Verständnis von Klang und Macht-Inszenierung. Allerdings existieren über die Feste der Valois-Herzöge keine speziellen Festivalbücher. Ritual-Situationen werden aber in literarischen Quellen wie Chroniken oder Romanen greifbar. Sie zeigen vor allem, wie Philipp der Gute (1396-1467) oder Karl der Kühne (1433-77) sich selbst sehen wollten, in welcher Tradition und Ahnenreihe von Helden sie sich verstanden. Evident ist, dass diese Bildsituationen nicht im Sinne einer realistischen Ereigniswiedergabe gelesen und nur im jeweiligen literarischen und politischen Zusammenhang interpretiert werden können (Martine Clouzot, Dijon). Eine Frage, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen wurde, war, inwiefern sich auch für die osmanischen Rituale literarische Modelle ausfindig machen ließen, die als Vorbild für Idee und Programm bestimmter Feste gedient haben könnten (Margret Scharrer).

Musik in ihrem theoretischen und kosmischen Sinne bildete in den Kulturen sowohl der Osmanen als auch der Valois-Herzöge einen wesentlichen Bestandteil von herrscherlicher Erziehung, Mäzenatentum und Weltauffassung. Söhne und Töchter wurden in dieser Kunst von entsprechenden Lehrern und Hofmusikern unterwiesen, auch künstlerisch traten einzelne Mitglieder der Herrscherfamilien in Aktion (Cenk Güray, Hacettepe-Universität, Staatliches Konservatorium Ankara / Margret Scharrer). Natürlich wurden noch zahlreiche weitere Fragen diskutiert, etwa, ob in Ritualen spezifische Momente der Stille begegneten (Tül Demirbaş) oder wie sich das Verhältnis von Klang und Ritual in Hofkulturen außerhalb der hier diskutierten Kontexte gestaltete.

Die Diskussionen waren sehr fruchtbar und inspirierend, und ich danke dem Orient-Institut Istanbul, dass es uns virtuell als Gäste aufgenommen und einen Raum und seine Netzwerke zur Verfügung gestellt, uns technisch und fachlich optimal betreut hat! Wir sehen nun mit Spannung den kommenden Ereignissen entgegen, nämlich dem für den 5. Februar 2021 geplanten Workshop “Between Court and City: Soundscapes of Power in East and West (15th to 17th Centuries)” und der großen Tagung “Sounds of Power: Sonic Court Rituals in- and outside Europe in the 15th – 17th Centuries”, die hoffentlich zwischen dem 17. und 19. Juni 2021 live in Bern stattfinden wird.

Margret Scharrer ist seit 2019 Postdoc-Assistentin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern und arbeitet in dem SNF-Projekt „Der Klang der Macht: Klanglichkeit als intermediale Kategorie höfischer Festrituale in interkultureller Perspektive im 15.–17. Jahrhundert“. Im Rahmen dieses Projekts besteht eine Kooperation mit dem Orient-Institut Istanbul.

Weiterführende Informationen:

Citation: Scharrer, Margret. „Sonic Rituals“ trotz Pandemie – Einblicke, Eindrücke, Fragen,” Orient-Institut Istanbul Blog, 18 September 2020, https://www.oiist.org/sonic-rituals/

Keywords

Ottoman Empire; Istanbul; Holy Roman Empire; France; Belgium; the Netherlands; 15th-17th centuries; court music; history of music; research project; OII-Music; OII-History & Life Narratives