Fabian Riesinger (European University Institute, Florence, department of History and Civilisation)
Die Vorstellung von Rhodos und die Gestaltung von Malta: Interkonnektivität und Aneignung nach 1600

Neo-maurisches Denkmal auf dem Türkischen Militärfriedhof in Marsa, Malta. Es handelt sich um ein Kenotaph ohne Gräber im Inneren. Foto: Sophia Hackel, 15. April 2022.

In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich die Beziehungen zwischen den Inseln Rhodos und Malta zwischen 1600 und 1800. Die politische Verwendung des Begriffs „Beziehung“ könnte die Vorstellung einer zivilisatorischen Kluft hervorrufen: Rhodos, ein maritimer Knotenpunkt für das Osmanische Reich gegenüber Malta, der Speerspitze des lateinischen Europas. Dieses Projekt geht aber der Frage nach wie die Bevölkerungen der Inseln miteinander verbunden waren—lange nachdem Rhodos 1522 osmanisch geworden war und dessen ehemalige Bewohner, die Johanniterritter, 1530 auf Malta Quartier bezogen hatten. Der Schwerpunkt liegt auf den Erfahrungen von Sklaven und Exilierten, die sowohl innerhalb des Osmanischen Reiches und dem lateinischen Europa als auch dazwischen umgesiedelt wurden. Anhand einer Reihe einschlägiger Fallstudien werden schließlich die Bewegungsmuster aufgezeigt, die die gleichnamigen Inseln miteinander verbinden. Hier verflechten sich osmanische bürokratische Quellen mit leidenschaftlichen Gedichten in italienischer Sprache über verräterische Türken, die versuchen, den Großmeister von Malta zu stürzen. Während Konzepte der Unfreiheit das Projekt strukturieren, stützen sich die beiden Hauptansätze auf die Geschichte der (erzwungenen) Migration und die Untersuchung der (sakralen) Architektur als Spiegel von imperialem Anspruch und dem menschlichen Leben, das darin geführt wurde.

Am Orient-Institut möchte ich meine Sammlung osmanischer Quellen in den verschiedenen Istanbuler Archiven und Bibliotheken vervollständigen. Wenn man die Stadt selbst als Feld betrachtet, rückt auch das architektonische Erbe aus der Zeit meiner Fallstudien in den Mittelpunkt. So kann ich aussagekräftige Vergleiche mit dem osmanischen Rhodos, aber auch mit westeuropäischen Stadtbildern ziehen.

Maysa Albert (Ludwig-Maximilians Universität München)
Von den Rändern aus gesehen: Die letzten 100 Jahre Istanbuls aus der Perspektive der Peripherie

3d isometrische Karte von Istanbul. Foto: Maksim Grebeshkov.

In diesem Projekt liegt der Schwerpunkt auf der These, dass es notwendig ist, die komplexe Wechselbeziehung zwischen Stadtzentren und Peripherien sowie das Konzept der “Peripherie” selbst zu retheoretisieren.

Das Ziel besteht darin, städtische Muster und Elemente aus historischer Perspektive zu erforschen, wobei der Fokus auf drei unterschiedlichen Peripherien Istanbuls liegt – Alibeyköy, Beykoz und die Landmauer. Es sollen die sich verändernden Diskurse in diesen Bereichen analysiert werden, wobei soziale Dynamiken und physische Aspekte in Verbindung gebracht werden, um Verbindungen zwischen ihnen im Kontext einer globalen Stadt herzustellen. Durch diese Verknüpfung zielt dieses Projekt darauf ab, räumliche und diskursive Veränderungen zu identifizieren und Einblicke in die Geschichte Istanbuls aus der Perspektive seiner Ränder zu gewinnen, um die Machtverhältnisse der Stadt aufzudecken.

Dayu wird die Forschung verschiedene Kriterien wie etwa Zugänglichkeit, wirtschaftliche Ströme, Infrastruktur und Bevölkerungsstruktur, eingehend untersuchen, um die Hybridität zu erläutern, die aus städtischen öffentlichen Räumen entsteht. Diese Hybridität verwischt die traditionellen Grenzen zwischen Zentren und Peripherien und betont somit die flexible und dynamische Natur, die konventionellen Konzepten städtischer Gestaltung zugrunde liegt.

Die Ergebnisse dieses Projekts werden in Form personalisierter, webbasierter Karten präsentiert, die wesentliche statistische Analysen ermöglichen. Darüber hinaus wird das Projekt story maps verwenden, um die Ereignisse, Probleme, Trends und Muster in Bezug auf die identifizierten Peripherien detailliert darzustellen und dabei auf eine umfangreiche Sammlung von Geodaten zurückzugreifen, die rund um die Uhr zugänglich ist.

Durch die Erforschung der Komplexitäten von Istanbuls Peripherien und ihrer Entwicklung im letzten Jahrhundert strebt das Projekt an, einen Beitrag zur breiteren akademischen Diskussion über die Stadtforschung zu leisten. Die Bedeutung der Peripherien bei der Gestaltung von Machtstrukturen wird bisher selten betont und ist ein wenig erforschter Aspekt der städtischen Geschichte Istanbuls; ihre Behandlung soll zu ein nuancierteres Verständnis der städtischen Entwicklung ermöglichen.

Burcu Yaşin (Concordia University, Montreal)
Lauter, leiser: Akustische Gentrifizierung und die Musik der Roma in der Türkei

Der Klarinettist Eyüp und sein Sohn vor ihrem Haus in Sarigöl, Istanbul. Foto: Paolo Buatti.

Gegenstand dieses Projektes ist die Analyse klanglicher Auswirkungen von Gentrifizierung. Gentrifizierung ist ein globales Problem gegenwärtiger Urbanität. Unabhängig von Ort und Kultur trifft sie überwiegend verwundbare Gemeinschaften. Vertreibungen beeinflussen ihre Lebensgrundlagen, sozialen Netzwerke und ökonomische Situation und führen zu weiterer Marginalisierung im Alltag. In der Forschung werden die Auswirkungen von Gentrifizierung auf lokale Kulturen und künstlerische Praktiken erst in jüngster Zeit thematisiert, wobei ihr Verschwinden und die darauffolgende Erneuerung das größte Interesse finden. Gentrifizierung kann aber auch zu einer Homogenisierung sowohl der lokalen Kultur als auch des Raums führen, ohne kulturelle Praktiken zwangsläufig zu zerstören. Tatsächlich ist der Raum vor allem für Musikkulturen wichtig, die auf informellem Lernen, gemeinschaftsorientierter Aufführung, nicht-schriftlicher Überlieferung und Improvisation beruhen. Massive räumliche Transformationen im städtischen Raum durch Gentrifizierung bewirken dabei radikale Veränderungen in Musikkulturen, die eingehend untersucht werden sollen. Mein Projekt zielt auf die Frage, wie staatlich betriebene städtische Politik marginalisierte Musikkulturen beeinflusst und homogenisiert. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf türkischen Roma. Das Projekt behandelt drei, in der vorhandenen Literatur bislang übersehene Themen: (a) die Verbindung von städtischer Politik und marginalisierten Musikkulturen, (b) die Auswirkungen der Gentrifizierung auf Musikaufführungen und Wissensübertragung und (c) die Homogenisierung von Musikstilen und -praktiken aufgrund räumlicher Veränderung. Für die Analyse dieser Themen sollen die Konzepte von acoustemology (klanglicheem Wissen, verbunden mit dem Alltag), Atmosphären und klangliche Gentrifizierung verwendet werden, sowie die Kombination verschiedener Methoden der Archivrecherche, oral history und Ethnographie der Sinne.

Orhun Yalçın (Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für den Nahen und Mittleren Osten)
Geschichte von Artvin und Kars im 19. Jahrhundert

Der Umschlag der Petition, die am 26. März 1869 von Artvin aus an Bischof Mesrob, das Oberhaupt des armenischen Episkopats von Trapezunt, geschrieben wurde. Archiv des Patriarchats von Istanbul, Bibliothek Nubar, Paris.

Das 19. Jahrhundert gilt im Osmanischen Reich als die Zeit, in der moderne staatliche Mechanismen eingeführt wurden und der Kapitalismus Fuß zu fassen begann. Im Rahmen dieser Modernisierungsschritte versprach das Reich im Gülhane-Edikt von 1839 und in der Islahat-Verordnung von 1856, die Sicherheit von Leben, Eigentum und Ehre von Christen und Juden zu gewährleisten. Es zeigt sich jedoch, dass die Praxis des Tanzimats in den Provinzen von dem abwich, was auf dem Papier stand. Obwohl für verschiedene Regionen des Reiches detaillierte Forschungen und Studien durchgeführt wurden, haben die Provinzen Artvin und Kars nicht die Aufmerksamkeit der Tanzimat-Historiker auf sich gezogen. Artvin und Kars, eine Grenzregion zwischen dem Osmanischen Reich und dem Russischen Reich und weit entfernt vom osmanischen Reichszentrum gelegen, nehmen jedoch eine interessante und wichtige Stellung ein, wenn es darum geht zu verstehen, was Modernisierung in einem multinationalen Reich bedeutete. Wann erreichten die Tanzimat-Konzepte die Grenzregionen von Artvin und Kars? Wie wurden die entsprechenden Absichten umgesetzt? Welches Verhältnis hatte die armenische Gemeinschaft, einer der Hauptakteure in der Region, zu diesen Praktiken? Wie wirkte sich der Tanzimat auf Handel, Verwaltung und Machtverhältnisse in der Region aus?

Berkay Uluç (University of Michigan, Comparative Literature)
Translinguale osmanische Moderne: Texte, Konzepte und Medien

Abbildung: Hikâye-i Robenson, 1869, Milli Kütüphane, 06 Mil EHT A 35981shot

Mit Übersetzung als Schwerpunkt argumentiere ich in meinem Projekt, dass für ein besseres Verständnis der osmanischen Moderne eine besondere Aufmerksamkeit auf den türkisch-arabischen Kulturkontakt gelegt werden muss, die Betrachtungen aber auch darüber hinauszugehen haben. Dadurch können die Verbindungen und Auseinandersetzungen zwischen Türkisch und Arabisch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in den größeren Kontext mehrsprachiger, mehrschriftlich und multimedialer Interaktionen innerhalb des Osmanischen Reiches sowie zwischen diesem und Europa gestellt werden. Mein Projekt ist auf vier Themen ausgerichtet – nämlich „Geschichte“, „Sprache“, „Literatur“ und „Ästhetik“ – und stützt sich auf eine Reihe von Archivquellen und Texten; von juristischen Proklamationen über philosophische Abhandlungen bis hin zu übersetzter Literatur und illustrierten Zeitschriften. Die osmanische Moderne durch und über den türkisch-arabischen Kontakt hinausgehend dokumentierend, verkörpern diese Archivregister eine Vielzahl von Übersetzungspraktiken zwischen „muttersprachlichen“ und „fremden“ Sprachen, Schriften und Medien in ihren materiellen Strukturen sowie zwischen „klassischen“ und „modernen“ Epistemologien, Genres und Vokabularien in ihren konzeptuellen Universen. Eine Fallstudie, an der ich arbeite, ist Hikâye-i Robenson – Ahmed Lutfis Übersetzung aus dem Arabischen ins Türkische von Robinson Crusoe aus dem Jahr 1864, der kanonisch als der erste englischsprachige Roman gilt. Die perso-arabische Schrift des osmanischen Türkisch in der Ausgabe von Hikâye-i Robenson aus dem Jahr 1869 wird von einer Reihe visueller und textlicher Elemente begleitet, die wiederum aus einer griechischen Übersetzung des Romans kopiert wurden, darunter solche, die die Machtverhältnisse zwischen dem Protagonisten und seinem „Diener“ Freitag illustrieren. Unter Verwendung von Methoden der Vergleichenden Literaturwissenschaft, der Übersetzungswissenschaft und der Buchgeschichte für die Analyse „translingualer“ Markierungen, die durch die Texte des späten türkisch-arabischen Kontakts entstanden sind – materiell, auf der Buchseite und konzeptionell, in ihrem Inhalt – mache ich ein Angebot, die osmanische Moderne in ihren hegemonialen und heterogenen Facetten zugleich zu erkunden. Während sich die Arbeit an der Schnittstelle zwischen kritischen Osmanistikstudien und kritischen Übersetzungsstudien befindet, möchte sich mein Projekt theoretische Ansätze wie Weltliteratur, Postkoloniale Studien, Queer Studies sowie Ästhetik und Politik zunutze machen und zu ihnen beitragen.

Selim Kırılmaz (Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Ethnologie)
Musik, Migration und Verleugnen: Erinnerung an die Musik des alten Mardin und Mihail Kirilmaz

Die Musiker Cercis Xeco, Corc Kırılmaz, and Yusuf Neceg. Das Foto wurde von der Kirilmazfamilie zur Verfügung gestellt.

Dieses Promotions-Projekt konzentriert sich im Kontext der Touristifizierung der Altstadt von Mardin in den 2000er Jahren auf die Erinnerung an die Migration von Christen aus Mardin/Türkei, die in großem Umfang zwischen den 1940er und 1990er Jahren stattfand.

In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren erlebte die Türkei die Geburt einer neoliberalen Kulturpolitik und eines neuen Diskurses über „Minderheiten“. In diesem Zusammenhang wurde die Stadt Mardin zunehmend als multikulturelles Tourismus-Zentrum wahrgenommen. Im Jahr 2000 wurde ein Protokoll zur Aufnahme der Stadt in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes unterzeichnet.

Während dieser Zeit wurden die assyrische Gemeinschaft und die Stadt Mardin durch Fernsehserien, Dokumentarfilme und Tourismus „multikulturell“ in den türkischen Medien sichtbar. Diese multikulturelle Sichtbarkeit verschwieg jedoch die Geschichte, die dazu geführt hat, dass heute Mardin fast ausschließlich von Muslimen bewohnt wird.

In diesem Zusammenhang wurde mein Großonkel Mihail Kırılmaz (1919-1997), ein assyrischer Sänger, dessen Lieder seit den 1940er-Jahren aufgenommen worden waren, zu einer der Ikonen der Nostalgie des „alten“ Mardin. Die Lieder von Mihail Kırılmaz wurden von lokalen Musikern „wiederentdeckt“; Anfang der 2000er Jahre erschienen Online-Artikel über ihn. Das Forschungsprojekt untersucht ausgehend von der Arbeit und dem Leben von Mihail Kırılmaz, die Lieder, Musiker und ihre Geschichten des „alten“ Mardins. Das Adjektiv „alt“ bezieht sich nicht nur auf die Zeit, in der Nicht-Muslime eine bedeutende Präsenz in der Stadt hatten, sondern auch auf die historische Besiedlung des Stadtzentrums von Mardin im Gegensatz zu der in den 2000er Jahren neu errichteten, verstärkten Betonsiedlung von Mardin, die unterhalb des Stadtzentrums entstanden ist.

Ich konzentriere mich auf die mündliche Überlieferung der Christen Mardins in den Jahren 1940-1990, einer Zeit, in der einerseits viele Musikaufnahmen von Musikern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft in Mardin gemacht wurden und sich andererseits die allermeisten Christen gezwungen fühlten, die Region zu verlassen. Gleichzeitig betrachte ich die verschwiegene Migration von Christen aus Mardin und die Auswirkungen der heutigen multikultureller Diskurse über das „alte“ Mardin und seine Assyrer. Zu diesem Zweck führte ich Interviews mit Familienmitgliedern der Brüder George und Mihail Kırılmaz, mit Musikern und Musikexperten in Mardin, älteren Menschen der Stadt sowie Gemeindevertretern.

Methodologisch möchte ich konzeptualisieren, wie die Lieder und ihre Texte sowie die Erzählungen, in denen die Mardiner von der untersuchten Zeit berichten, die affektiven Dimensionen der Erinnerung an eine verleugnete Vergangenheit prägen. Da ich selbst ein „Insider“-Forscher bin, hat diese Forschung darüber hinaus das Potential, über die generationsübergreifende Weitergabe von Erinnerungen und Emotionen zu reflektieren.

Indem ich die Musik selbst analysiere und dies mit ausführlichen Interviews kombiniere, möchte ich die Rolle der Musik innerhalb sozialer Beziehungen untersuchen und dabei ihr Potential als Gedächtnisstütze bei der Durchführung mündlicher historischer Forschung auf methodischer Ebene demonstrieren.

Schließlich hoffe ich, zu den bislang sehr begrenzten ethnographischen Studien zum kollektiven Gedächtnis der Assyrer in der Türkei beizutragen.