Sada Payır (Universität Oxford, Fakultät für Orientstudien, Pembroke College)

Unterhaltung, Schicklichkeit, Verstoß: Die „unorthodoxen“ Griechen Istanbuls im späten Osmanischen Reich

Griechisch-orthodoxe Bewohner Tatavlas in traditionellen Kostümen auf dem Karneval

Sada Payır ist Doktorandin im Fach Geschichte an der Fakultät für Orientstudien der Universität Oxford. Ihr Promotionsvorhaben baut auf ihrer Master-Arbeit auf, die sich mit moralischen Grenzüberschreitungen in der griechisch-orthodoxen Bevölkerung Peras und Galatas von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg beschäftigte. Die Entscheidung, Menschen aus dieser ethnisch-religiösen Gruppe zu studieren, fiel aus mehreren Gründen: Erstens teilten sie nicht die Religion der Herrschenden im Osmanischen Reich. Zweitens wurden Nichtmuslimen im Osmanischen Reich während der Tanzimat-Epoche neue Rechte bezüglich Staatsbürgerschaft, Religionsausübung und Bildung zuerkannt. Daraufhin wurden in der griechisch-orthodoxen Gemeinschaft Istanbuls neue Kirchen, moderne Schulen und kulturelle Vereinigungen gegründet. Zuletzt war es verlockend, Informationen über diejenigen griechisch-orthodoxen Personen zu erlangen, die keinerlei Zugang zu Bildung hatten und möglicherweise aufgrund ihrer Berufe und anderer Merkmale gemieden wurden, und das in einer Zeit, als die Gemeinschaft wirtschaftlich aufblühte und sich intellektuell entwickelte.

Sadas Promotionsvorhaben widmet sich der gesamten Stadt und soll zeigen, auf welche Weise griechisch-orthodoxe Menschen im Unterhaltungssektor genauso wie ihre Kunden in den Augen des osmanischen Staates, der griechisch-orthodoxen Kirche und Laienschaft sowie der Gesellschaft im spätosmanischen Istanbul soziale, moralische und in gewissem Grade rechtliche Grenzen überschritten. Sada will darlegen, wo sich die Übertreter/innen befanden im Hinblick auf diese verschiedenen Perspektiven befanden, zu einer Zeit, als die griechisch-orthodoxe Gemeinschaft Zeichen einer Entwicklung hin zu einem enger geschlossenen Gemeinschaftsleben aufzuweisen begann und das Osmanische Reich Wandel in Verwaltung und städtischem Leben durchlief. Sie argumentiert, dass mit dem Unterhaltungssektor verbundene Übertretungen für unterschiedliche betroffene Parteien unterschiedliche Problematiken schufen, auch wenn sich deren jeweilige Blickwinkel auf diese Übertretungen überschnitten. Indem sie diese Problematiken beleuchtet, soll ihr Projekt auch das Bild des „schwarzen Schafs der Familie“ neu betrachten und neue Perspektiven für die Interpretation nichtmuslimischer Gemeinschaften im späten Osmanischen Reich beisteuern.