Benan Grams (Georgetown University)
Ottoman Medicine in Greater Syria

In ihrer Doktorarbeit untersucht Benan Grams die Geschichte der Medizin und des osmanischen öffentlichen Gesundheitssystems in den syrischen Regionen mit den Schwerpunkten Damaskus und Beirut vom neunzehnten Jahrhundert bis zum Beginn des französischen Mandats 1921. Das Projekt betrachtet die Reform des Gesundheitssystems als Teil der osmanischen Tanzimat-Reformen. Desweiteren untersucht das Projekt die Erfahrungen des Osmanischen Reiches mit der Modernisierung des Medizinsektors als Teil eines globalen Trends der Modernisierung und der staatlichen Zentralisierung von öffentlichen Gesundheitssystemen.

Seit den 30-er Jahren des 19. Jahrhunderts trieb das Osmanische Reich im großen Maßstab die Modernisierung im Bereich der Medizin und des öffentlichen Gesundheitssystems voran. Die Einführung neuer medizinischer Behandlungsmethoden, Regularien und Gesetze und eine neue Gesundheitspolitik waren Teil eines umfassenden Modernisierungsprojektes des osmanischen Staates. Die Zentralregierung des Reiches verfolgte damit verschiedene Ziele im syrischen Raum. Nach der Rückeroberung Syriens und dem Abzug der ägyptischen Truppen im Jahr 1841 versuchte die osmanische Regierung sich unter der arabischen Bevölkerung durch Maßnahmen, wie der Verhinderung von Epidemien Legitimität zu verschaffen. Für seine nach den Militärreformen neu aufgebaute Berufsarmee benötigte das Reich gesunde und kräftige Männer, was das staatliche Interesse an einem funktionierenden Gesundheitssystem. Zugleich stand die Reichsführung durch die Konkurrenz mit Missionaren unter Druck, welche bereits medizinische Ausbildungseinrichtungen und Hospitale aufgebaut hatten.

Diese neue Aufgabe des Staates und die damit einhergehenden vereinheitlichten medizinischen Maßnahmen beeinflussten die Beziehung zwischen Staat und Bevölkerung. Begriffe wie „gesund“ und „krank“ mussten neu definiert werden. Gesundheitliche Regeln, prophylaktische medizinische sowie Hygienemaßnahmen, denen ein modernes Verständnis von Krankheit und Hygiene zugrunde lag, brachte Staatsbeamte in einen intimen, in dieser Form noch nie existierenden Kontakt mit der Bevölkerung. Diese Maßnahmen waren erste Schritte einer Reihe von biopolitischen Maßnahmen, die die osmanische Regierung unternahm, um die Gesellschaft zu modernisieren. Durch sie verschaffte sich der Staat die Legitimation, sich in die Privatsphäre seiner Bevölkerung einzumischen, was dazu führte, dass traditionelle Geschlechterstrukturen gestört wurden, und dabei das Recht des Staates zum Zugriff auf den Körper neu definiert wurde.

Während ihres Aufenthalts am Orient-Institut, besucht Benan Grams das Osmanische Staatsarchiv, wo sie offizielle Statistiken, Korrespondenzen, Regeln und Gesetze analysiert und bewertet. Die Untersuchung der Korrespondenz zwischen dem Zentrum Istanbul und den peripheren Zentren wie Damaskus und Beirut verdeutlichen die Herausforderungen, mit welchen die osmanischen Beamten täglich konfrontiert waren. Benan Grams setzt sich mit den faszinierenden, aber komplexen Verwicklungen zwischen globalen Krankheiten und internationalen Bemühungen diese einzuschränken einerseits sowie der jeweiligen regionalen öffentlichen Gesundheitssituation andererseits auseinander. Dies spielt sich innerhalb eines politischen Kontextes ab, der von westlichen kolonialen Interessen und dem osmanischen Streben nach Modernisierung, sowie den wachsenden nationalistischen und ethnischen Ambitionen geprägt ist. Der Grundstein für das öffentliche Gesundheitssystem im heutigen Syrien und Libanon wurde zu großen Teilen in jenem Zeitraum gelegt.