Traugott Fuchs und Katze am Arbeitstisch
© Dr. Hermann Fuchs

Traugott Fuchs – ein Leben als Migrant in Istanbul

Autorin: Karin Schweißgut

11. September 2020

Katalogisierungsprojekt des Nachlasses von Traugott Fuchs am Orient-Institut Istanbul (Leitung: Prof. Dr. Raoul Motika & Dr. Karin Schweißgut), in Kooperation mit dem Archiv- und Dokumentationszentrum der Boğaziçi-Universität, gefördert durch das Kulturerhalt-Programm des Auswärtigen Amtes

Der Nachlass

Traugott Fuchs, 1906 im Elsass geboren und 1997 in Istanbul verstorben, war Literaturprofessor, Germanist, Romanist, Übersetzer, Maler und einer der Intellektuellen, die 1934 Nazi-Deutschland verließen und in die Türkei auswanderten. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen blieb er bis zu seinem Lebensende in Istanbul, wo er seine Talente und Fähigkeiten entfalten konnte und von wo aus er Kontakte in die ganze Welt pflegte. Außerdem nahm er in Istanbul über viele Jahrzehnte eine bedeutende Rolle als Wissens- und Kulturvermittler ein. Nach seinem Tod hatte Traugott Fuchs ein großes Archiv hinterlassen, das vielfältiges Material umfasst: diverse eigene Schriften zur deutschen, französischen und türkischen Literatur, Unterrichtsnotizen und anderes Material seiner akademischen Lehrtätigkeit, eine umfangreiche Korrespondenz mit Kollegen und Freunden (zu denen namhafte Persönlichkeiten wie der Orientalist Hellmut Ritter, der Romanist Leo Spitzer, der Literaturwissenschaftler Erich Auerbach und der Schriftsteller Hermann Hesse gehörten) wie auch einen Briefwechsel mit Studenten und Mitgliedern seiner Familie, des Weiteren Tagebücher und Reiseberichte, Fotos, Dokumente diverser Art, circa 6.500 Zeichnungen und 200 Gemälde sowie eine Bibliothek mit etwa tausend Büchern. Für Einblicke in die Zeitgeschichte, in die Sozial- und Kulturgeschichte der Türkei der 1970er- und 1980er-Jahre sind seine Günaydın-Hefte von besonderem Interesse: Hefte, in denen Traugott Fuchs Ausschnitte aus der türkischen Zeitung Günaydın einklebte, die Heftseiten dann gestaltete und die Artikel und Abbildungen kommentierte. Sein umfangreicher schriftlicher Nachlass im Umfang von über 10.000 Entitäten wird nun durch das Orient-Institut Istanbul in Zusammenarbeit mit dem Archiv- und Dokumentationszentrum der Bosporus Universität katalogisiert. Gefördert wird das Projekt durch das Auswärtige Amt im Rahmen des Kulturerhalt-Programms. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter arbeiten den Nachlass in den frei zugänglichen, speziell für Gelehrtennachlässe konzipierten Verbundkatalog   ein, dessen Zentrale seinen Sitz an der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, hat. Damit soll für die deutsche und internationale Wissenschaft und die interessierte Öffentlichkeit nicht nur das Leben eines Künstlers, Wissenschaftlers und Übersetzers sichtbar gemacht werden, der fast sein ganzes Berufsleben in der Migration verbrachte, sondern auch sein Nachlass langfristig gesichert werden.

Stationen eines bewegten Lebens – eine Migrantenbiographie

Versucht man, die Lebensstationen Traugott Fuchs zu rekapitulieren, so fallen die zahlreichen Brüche in den Blick, die durch das Verlassen eines Ortes und das Leben an einem anderen, entfernten Ort geprägt sind. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wird solch eine erste Bruchlinie erkennbar. Traugott Fuchs’ Familie verließ Elsass-Lothringen, das nun wieder Teil Frankreichs war. Vom Metz zog die Familie nach Schmalkalden in Thüringen, wo sein Vater eine Stelle als lutherischer Pfarrer übernommen hatte und Traugott Fuchs seine weitere Schulzeit bis zum Abitur 1925 verbrachte. Der sich daran anschließende Ortswechsel zur Aufnahme eines Studiums lässt sich als weitere Bruchlinie interpretieren. Traugott Fuchs studierte Germanistik und Romanistik in Berlin, Heidelberg und Marburg. 1929 wurde er Assistent von Leo Spitzer, einem herausragenden Romanisten seiner Zeit. 1930 folgte er seinem Lehrer und Mentor an die Universität Köln. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und ihren Maßnahmen gegen die Juden im Deutschen Reich wurde Professor Spitzer 1933 von der Universität Köln entlassen. Über die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ gelang es ihm, eine Anstellung an der 1933 neu gegründeten Universität Istanbul zu bekommen. Die erst zehn Jahre zuvor gegründete Republik Türkei hatte zum Aufbau eines neuen Hochschulwesens einen hohen Bedarf an Hochschullehrern und Wissenschaftlern. Die neuen Hochschulen sollten die osmanischen Traditionen hinter sich lassen und sich an europäischen Standards orientieren. 1934 konnte Traugott Fuchs – auch durch die Vermittlung Erich Auerbachs – Leo Spitzer in die Türkei folgen, wodurch eine weitere Bruchlinie sichtbar wird. Mit dem Umzug nach Istanbul wurde Fuchs zum politischen Exilanten. Während Spitzer 1936 in die USA übersiedelte, blieb Traugott Fuchs bis zu seinem Lebensende in der Türkei und wirkte als Germanist und Romanist an der Universität Istanbul und ab 1943 am amerikanischen Robert College, der späteren Boğaziçi-Universität. Im Gegensatz zu vielen anderen Immigranten lernte Traugott Fuchs Türkisch, was ihm – sprachbegabt, wie er vermutlich war – vielleicht auch leichter fiel als anderen. Ab 1934 hatte sich Traugott Fuchs dann auch mit der Abfassung einer Doktorarbeit zum Thema „Das ‚Je ne sais quoi‘ in den romanischen Sprachen“ begonnen. Sein Doktorvater Leo Spitzer hatte die Studie 1943 als Dissertation angenommen, diese fiel jedoch einem Feuer zum Opfer. Dennoch wurde Traugott Fuchs in Istanbul zum Professor berufen. Darüber hinaus verlieh die Boğaziçi-Universität ihm 1995 die Ehrendoktorwürde. Als Maler hatte sich Traugott Fuchs autodidaktisch gebildet.

Die Übersiedelung in die Türkei 1934 bildet in der Rückschau die wesentliche Zäsur im Lebensweg von Traugott Fuchs. Doch auch nach dieser Migration sind die politischen Umstände der Zeit weiter prägend für sein Schicksal. Nachdem die Türkei auf Seiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eingetreten war, wurden die deutschen Staatsangehörigen in der Türkei aufgefordert, das Land zu verlassen, andernfalls würde man sie internieren. Traugott Fuchs gehörte zu denjenigen, die sich weigerten, nach Deutschland zurückzukehren. 1944 und 1945 war er über 13 Monate in Çorum interniert, eines der drei im Innern Anatoliens gelegenen Lager (Çorum, Yozgat und Kırşehir), in welche die Deutschen gebracht wurden.

Markt in Çorum © Dr. Hermann Fuchs

Diesen erneuten Bruch verarbeitete Traugott Fuchs in zahlreichen Texten, Zeichnungen und Gemälden. Mit Hilfe der Kollegen des Robert College konnte er 1945 dann nach Istanbul zurückkehren und seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen. Bis in die 1970er-Jahre wohnte Fuchs auf dem herrlich gelegenen Campus des Robert College bzw. der Boğaziçi-Universität über dem Bosporus. Nach einem Schlaganfall verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens im österreichischen Sankt Georgs-Krankenhaus, wo er auch 1997 verstarb. Traugott Fuchs wurde auf dem internationalen protestantischen Friedhof im Istanbuler Stadtteil Feriköy beigesetzt, dessen Dokumentation und wissenschaftliche Erschliessung Gegenstand eines eigenen Forschungsschwerpunkts am Orient-Institut Istanbul ist.

Traugott Fuchs: Büffel, https://de.wikipedia.org/wiki/Traugott_Fuchs#/media/Datei:E05_a_29B%C3%BCffel.jpg © Dr. Hermann Fuchs

Die Katalogisierung der schriftlichen Hinterlassenschaft

Die hinterlassenen Dokumente von Traugott Fuchs werfen Schlaglichter auf das Leben eines interessanten Intellektuellen und Künstlers. Persönliches und Biographisches sind – wie insbesondere die Brüche seines Lebens zeigen – eingebunden in die Zeitgeschichte. Für Forschungsarbeiten im Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften und für Projekte, die sich mit Selbstzeugnissen, dem Themenbereich Migration, der Geschichte der Türkei und den deutsch-türkischen Beziehungen auseinandersetzen, ist Traugott Fuchs‘ Nachlass von großem Interesse. Um das vielseitige und umfangreiche Material für die Nachwelt zu erhalten und Forscherinnen und Forschern den Blick auf die Zeugnisse einer interessanten und wechselvollen Lebensgeschichte zu ermöglichen, wäre die Digitalisierung dieses Nachlasses sehr wünschenswert. Das derzeitige Katalogisierungsprojekt dient nicht nur dem Erhalt des Nachlasses, sondern ist auch ein wesentlicher Schritt, um Traugott Fuchs als historische Persönlichkeit umfangreich für die Wissenschaft zu erschließen und sein Schicksal damit nachhaltig sichtbar zu machen.

Die promovierte Turkologin Karin Schweißgut ist Expertin für moderne türkische Literatur. Seit Oktober 2019 ist Frau Schweißgut wissenschaftliche Leiterin der Bibliothek des Orient-Instituts Istanbul.

Literatur: 

Artemel, Süheyla / Burçoğlu, Nedret Kuran / Karantay, Suat (Hrsg.) 1995: Traugott Fuchs. Türkiye’de Geçen Bir Yaşam –- Ein in der Türkei verbrachtes Leben –- A Life in Turkey. Istanbul: CECA Yayınları (dreisprachig – Deutsch, Englisch, Türkisch).

Artemel, Süheyla / Fuchs, Traugott 2007: Bonds of Exile –- Gefesselt im Exil –- Sürgün Bağları. Istanbul: Begleitheft zur Ausstellung Istanbul 2007 (dreisprachig – Deutsch, Englisch, Türkisch).

Eintrag „Traugott Fuchs“ in der deutschsprachigen Wikipedia, siehe <https://de.wikipedia.org/wiki/Traugott_Fuchs> (zuletzt abgerufen am 01.08.2020).

Özbek, Yasemin 2007: „Heimat im Exil. Lebensalltag am Bosphorus in den Briefen von Traugott Fuchs an Rosemarie Heyd-Burkart“. Hrsg. von Georg Stauth / Faruk Birtek. Geistige Wanderungen aus der „Welt in Scherben“. Bielefeld: transcript, S. 159–190.

Vialon, Martin 2007: „Traugott Fuchs zwischen Exil und Wahlheimat am Bosporus. Meditationen zu klassischen Bild- und Textmotiven“. Hrsg. von Georg Stauth / Faruk Birtek. Geistige Wanderungen aus der >Welt in Scherben<. Bielefeld: transcript, S. 53–129.

Katalog des Nachlasses von Traugott Fuchs:

Traugott Fuchs im Kalliope-Verbundskatalog, siehe <https://kalliope-verbund.info/de/findingaid?fa.id=DE-611-BF-77526&fa.enum=1> (zuletzt abgerufen am 11.09.2020).

Die Abbildungen sind, sofern nichts anderes genannt, folgendem Werk entnommen: Artemel, Süheyla / Burçoğlu, Nedret Kuran / Karantay, Suat (Hrsg.) 1995: Traugott Fuchs. Türkiye’de Geçen Bir Yaşam –- Ein in der Türkei verbrachtes Leben –- A Life in Turkey. Istanbul: CECA Yayınları. (dreisprachig – Deutsch, Englisch, Türkisch). Wir danken Herrn Dr. Hermann Fuchs für die freundliche Genehmigung, die Abbildungen in diesem Blogpost verwenden zu dürfen.

Citation: Schweißgut, Karin. „Traugott Fuchs – ein Leben als Migrant in Istanbul,” Orient-Institut Istanbul Blog, 11 September 2020, https://www.oiist.org/traugott-fuchs-ein-leben-als-migrant-in-istanbul/

Keywords

Turkey; Istanbul; Çorum; 20th century; migration; German scholars in exile, 1933-1945; history of higher learning; intellectual exchange; transfer of knowledge; archival resource; cataloging project; OII-History & Life Narratives